Hightech-Landwirtschaft für gesunde Umwelt und Lebensmittel  [07.05.21]

Einmal im Jahr widmet sich eine zusätzliche Ausgabe des populärwissenschaftlichen Magazins „Bild der Wissenschaft“ einem einzigen Thema. In diesem Jahr geht es um „Biointelligenz“. Sie steht für ein System, in dem biologische und technische Prinzipien miteinander verschmelzen und der Verbrauch natürlicher Ressourcen übergeht in einen Kreislauf aus Nutzung, Aufbereitung und Wiederverwertung – kurzum: ein rundum nachhaltiges System. Gemeinsam mit anderen aus der Region Stuttgart berichten Forschende von der Uni Hohenheim darüber, wie dies gelingen kann. Wir stellen die Artikel der Hohenheimer Forschenden in loser Reihe vor. Heute: „Hightech-Landwirtschaft für gesunde Umwelt und Lebensmittel“


Dank künstlicher Intelligenz und Digitalisierung auf dem Acker wird die Landwirtschaft umweltfreundlicher: Ressourcen werden geschont, weil Dünger und Pflanzenschutzmittel gezielter eingesetzt und so eingespart werden können.

von Ursel Stuhlemmer


Wenn Hans W. Griepentrog an die Landwirtschaft der Zukunft denkt, schwebt ihm eine Kombination aus Ökolandbau und Robotik vor: „Sensoren erfassen und verarbeiten alle nötigen Informationen über Boden und Pflanzen, und Roboter erledigen dann das Richtige.“ Umweltbelastende Pflanzenschutz- und Düngemittel können damit erheblich reduziert werden. „Und das Ergebnis: Hohe Erträge und Qualität bei hoher Nachhaltigkeit und Umweltschonung“, so der Robotikexperte vom Fachgebiet Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion an der Universität Hohenheim.

Themenheft 2021

Bild der Wissenschaft Spezial „Biointelligenz“, ca. 100 Seiten, 8.20 €: jetzt am Kiosk erhältlich

Längst sind digitale Technik und künstliche Intelligenz auch in der Landwirtschaft angekommen: Selbstlenkende Traktoren fahren über das Feld und bringen Dünger und Pflanzenschutzmittel gezielt nur dort aus, wo sie erforderlich sind. Den genauen Ort und die notwendige Menge haben zuvor spezielle Sensoren ermittelt. Zudem helfen Agrarwetter-Apps, den optimalen Erntezeitpunkt zu bestimmen, Mähdrescher erfassen automatisch den Ertrag des jeweiligen Feldabschnittes und Computer unterstützen bei der Überwachung des Lagers, um nur einige Beispiele zu nennen.

„Wir können dank GPS und ausgereifter Anwendungstechniken heute sehr präzise arbeiten“, erklärt Griepentrog. „Über Boden und Pflanzen sowie die Produktionsbedingungen sind sehr viele Informationen vorhanden. Moderne Zugmaschinen und landwirtschaftliche Geräte liefern heute schon immense Mengen an Daten“, erläutert der Wissenschaftler die Hintergründe. „Landwirtschaft 4.0 verarbeitet diese großen Datenmengen, verknüpft sie, automatisiert Abläufe und unterstützt so den Landwirt beim Entscheidungsprozess.“

Ökologie und Ökonomie verbinden

Natürlich geht es dabei immer auch um mehr Effizienz und Optimierung des Betriebs. Zunehmend rücken jedoch Themen wie Nachhaltigkeit und umweltschonendes Wirtschaften in den Fokus von Verbrauchern und Landwirten. Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bekommen, wird immer wichtiger. Dabei muss die moderne Landwirtschaft einer der größten Herausforderungen unserer Zeit begegnen: Eine schnell wachsende Zahl von Menschen mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Noch dazu sollen die Lebensmittel gesund und gleichzeitig umweltfreundlich sowie wirtschaftlich hergestellt worden sein.

Kompetenzzentrum Biointelligenz

Die Kooperation der Uni Hohenheim mit der Uni Stuttgart, den vier Fraunhofer-Instituten in Stuttgart und dem NMI an der Uni Tübingen wurde Anfang 2019 gegründet. Rund 40 Vertreterinnen und Vertreter dieser renommierten Forschungseinrichtungen arbeiten hier intensiv und interdisziplinär zusammen.

Dieser Spagat zwischen Ernährungssicherung einerseits und der Ressourcenschonung andererseits ist jedoch nicht ganz einfach. Die hohen Erträge in der bisherigen konventionellen landwirtschaftlichen Produktion können nur durch den kombinierten Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln relativ problemlos erreicht werden. Im Biosektor werden die Produkte zwar mit höheren Umwelt- und Naturschutzwirkungen produziert. Allerdings geht dies in der Regel auf Kosten des Ertrags. Erfolgversprechend ist hier sicherlich ein Mittelweg zwischen dem, was bisher war, und dem kompletten Umstellen auf Ökoproduktion.

Precision Farming bei Zuckerrüben

Einer dieser Ansätze ist das so genannte „Precision und Smart Farming“. Dabei werden Unterschiede in Bodenbeschaffenheit, Licht-, Wasser- und Nährstoffversorgung in verschiedenen Teilen des Feldes erfasst und jede Teilfläche individuell bewirtschaftet. Dazu erfassen zunächst Sensoren Bodenqualität, Nährstoff- und Wassergehalt sowie Pflanzengesundheit. Mit diesen Daten kann dann speziell auf die Bedürfnisse der einzelnen Feldteilfläche eingegangen werden und eine gezielte Saat, Düngung oder Bewässerung der Pflanzen erfolgen. Und dies auch nur in den Mengen, die notwendig sind. So können nicht nur Arbeitszeit, Pflanzenschutz- und Düngemittel gespart und die Produktionskosten gesenkt werden. Auch Umwelt und Natur profitieren davon. Gleichzeitig ist der Ernteertrag und damit die Versorgung mit Nahrungsmitteln gesichert.

Anwendung finden kann Precision und Smart Farming zum Beispiel, um Pilzkrankheiten bei Zuckerrüben zu erfassen und zu behandeln: Zunächst suchen sensorgestützte Roboter nach kritischen Blattflecken, die auf einen Pilzbefall hindeuten. Eine Software bewertet dann, wie stark die Ernte durch den Pilzbefall geschädigt sein wird. Dabei fließen in die zugrundeliegenden Simulationen neben dem Ausmaß der Schädigung auch weitere Daten vom Feld, vom Boden, von der Biomasse und vom Wetter ein. „Auf diese Weise können wir klären: Wie entwickelt sich die Krankheit? Mit wie viel Ertragsausfall muss der Landwirt rechnen, wenn er keine Spritzmittel einsetzt, und wie viel müsste er ausgeben, wenn er das Feld behandeln will“, erklärt Agrarwissenschaftlerin Simone Graeff-Hönninger. Die Professorin leitet die Arbeitsgruppe „Anbausysteme und Modellierung“ der Universität Hohenheim.

Roboter

Autonome Roboter sollen künftig dazu beitragen, Unkrautvernichtungsmittel einzusparen. Bild: Uni Hohenheim

Neben der Entscheidungshilfe liefert das Programm auch eine Applikationskarte. Sie zeigt, an welchen Stellen das Feld gegebenenfalls gespritzt werden sollte und an welchen keine Behandlung notwendig ist. Diese Informationen lassen sich an die Steuerung der Spritzfahrzeuge übermitteln. So kann die Krankheit räumlich differenziert und zum idealen Zeitpunkt behandelt werden. Denkbar ist es zudem, dass zukünftig Arbeitsfahrzeuge in einem Arbeitsgang den Zustand analysieren und infizierte Pflanzen bedarfsgerecht behandeln. Durch den schnellen und lokal stark begrenzten Einsatz ließe sich die Menge der Spritzmittel auf ein Minimum beschränken.

Der Ausweg: Agrarwirtschaft zwischen ökologisch und konventionell

Ob und wie es gelingen kann, sogar ganz auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel zu verzichten, untersucht aktuell ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Forschungsvorhaben. „Im Verbundprojekt LaNdwirtschaft 4.0 Ohne chemisch-synthetischen PflanzenSchutz oder kurz NOcsPS widmen wir uns einem alternativen Weg, der zwischen der klassischen Produktion und dem ökologischen Weg liegt“, erklärt der Sprecher des Forschungsverbunds Enno Bahrs von der Universität Hohenheim. Gemeinsam mit seinen Kollegen und Kolleginnen möchte der Professor und Direktor des Instituts für Landwirtschaftliche Betriebslehre ein Umdenken in der landwirtschaftlichen Produktion anstoßen.

Blog Biointelligenz

Seit kurzem liefert der Blog des Fraunhofer IPA, an dem die Uni Hohenheim beteiligt ist, wöchentlich Beiträge zur Biologischen Transformation. Schauen Sie doch mal rein!

Sie forschen in Hohenheim und möchten sich beteiligen? Melden Sie sich gern bei der Pressestelle: presse@uni-hohenheim.de

In 19 Teilprojekten sind daran Forschende aus 23 Fachgebieten der Universitäten Hohenheim und Göttingen sowie des Julius Kühn-Instituts in Quedlinburg beteiligt. Sie wollen die Vorteile von konventioneller und ökologischer Landwirtschaft miteinander vereinen und zugleich deren jeweilige Nachteile so weit wie möglich reduzieren. Was wie die Quadratur des Kreises klingt, soll durch eine Landwirtschaft möglich sein, die modernste, automatisierte und digitalisiert vernetzte Technologien einsetzt und dabei biologischen Prinzipien folgt.

Natürlich darf das Ganze nicht auf Kosten des Ernteertrags und der Produktqualität gehen. Deshalb muss insbesondere die Bodenfruchtbarkeit gewährleistet bleiben. Der umweltgerechte Einsatz von mineralischem Dünger soll dies möglich machen: „Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher und nur die chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel weglassen – das wird nicht funktionieren“, erläutert Bahrs. „Aber wir können die grundsätzliche Gesundheit der Pflanzen beeinflussen, indem wir zum Beispiel für ein ausgewogenes Nährstoffangebot sorgen oder für ein entsprechendes Wachstum. Da spielen auch Faktoren eine Rolle wie der optimale Abstand der Pflanzen zueinander oder die Art der Kultur- und Erntemaßnahmen, um nur einige zu nennen.“

Möglich werden soll dies unter anderem dadurch, dass der Abstand der Pflanzen zueinander optimiert wird. Traditionell werden die Kulturpflanzen meist in Reihen ausgesät. Dabei ist zwischen den einzelnen Pflanzen in benachbarten Reihen mehr Platz als innerhalb der Reihe. Bei der so genannten Gleichstandsaat hingegen haben alle Pflanzen zueinander denselben Abstand. So könnten in Zukunft autonome Roboter über die Äcker fahren, die gezielt Samenkörner über die Fläche verteilen und dabei auch noch die Besonderheiten der jeweiligen Feldabschnitte berücksichtigen: Je besser die Bodenverhältnisse in dem jeweiligen Bereich, desto mehr Pflanzen können dort gedeihen, und umso dichter kann gesät werden.

Durch den gleichmäßigen Pflanzenabstand kommt es darüber hinaus zu einer besseren Beschattung von Boden und Unkraut. Das konserviert die Bodenfeuchte und unterdrückt das Unkraut. Auch das Mikroklima verändert sich, die Luft strömt anders durch die gleichmäßigen Bestände und gibt so Pilzen weniger Chancen sich wohlzufühlen. In einem 3-D-Strömungsmodell simulieren die Forschenden, wie sich zum Beispiel Beschattungen oder Luftströmungen verändern, je nachdem wie die Pflanzen auf der Fläche angeordnet sind. Ziel ist es, eine optimierte Luftströmung zu erhalten, die zu einem größtmöglichen Luftaustausch führt und so den Pilzbefall stark reduziert. Da dabei auch die Wuchsform der Pflanzen eine Rolle spielen kann, analysieren die Forschenden auch, wie sich die Strömungsverhältnisse durch Pflanzen mit veränderten Blattwinkeln oder Oberflächenstrukturen verändern. Erkenntnisse, die in Empfehlungen für eine verbesserte Pflanzenzüchtung münden können.


Gleichzeitig hat die Wuchsform auch Einfluss darauf, wie stark das Wachstum von Unkraut gefördert oder unterdrückt wird. Je früher sich das Blätterdach der Kulturpflanzen schließt, desto weniger Unkraut kann sich entwickeln – ihm fehlt schlicht das Licht zum Wachsen.

Und falls sich doch Unkräuter ansiedeln, können diese durch intelligente, automatisierte Hacksysteme entfernt werden. Autonome Hacken gibt es zwar schon in Serienreife, aber diese entfernen nur das Unkraut zwischen den Reihen. Die Kunst ist das Hacken zwischen den einzelnen Kulturpflanzen. „Die Hacke muss unterscheiden können, was Unkraut ist und was Kulturpflanze. Das lernt sie auch mit Hilfe von neuronalen Netzen“, beschreibt Roland Gerhards vom Fachgebiet Herbologie an der Universität Hohenheim. Im Idealfall kann sie dann auch noch zwischen „schlechtem“ Unkraut und „gutem“ Unkraut trennen. So werden zum Beispiel Pflanzen, die wichtig für nützliche Insekten sind, verschont. Auch besonders gefährdete Pflanzen, wie Adonisröschen, Acker-Rittersporn oder blauer Gauchheil, müssten der Hacke dann nicht mehr zum Opfer fallen.

Doch damit nicht genug. Der NOcsPS-Ansatz stellt eine komplette Neuorientierung im Ackerbau dar. Deswegen nehmen die Forschenden die gesamte Wertschöpfungskette ins Visier – von Züchtung und Produktqualität über das Management von Resistenzen und Schadorganismen bis zur Betriebswirtschaft, der gesellschaftlichen Wahrnehmung und den Effekten auf das Ökosystem. Man darf auf die Ergebnisse gespannt sein.

Text: Ursel Stuhlemmer


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