Gemeinsam gegen Rechtsextremismus [05.02.24]
Unsere Demokratie ist ein Geschenk. Doch wir dürfen sie nicht als selbstverständlich ansehen. Deshalb demonstrieren deutschlandweit mehrere hunderttausend Menschen gegen das Erstarken rechtsextremer Kräfte. Wie sollten wir an der Uni Hohenheim Farbe bekennen? Wie geht es internationalen Studierenden im Moment? Jason Wenzig vom AStA und Uttej Chadaravalli, Masterstudent aus Indien, sprechen darüber mit dem Online-Kurier.
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Hallo Uttej, hallo Jason. Schön euch zu sehen. Schrecklich aber unser Thema heute.
Rechtsradikale Ansichten scheinen in Deutschland immer mehr Zuspruch zu gewinnen. Jason, du bist Mitglied im Studierendenparlament und im AStA-Referat für politische Bildung. Wie beschäftigt euch diese Entwicklung?
Jason: Wir sind entsetzt darüber. Als Studierendenvertretung stehen wir für Vielfalt, Demokratie und freien Meinungsaustauch.
Wir sind politisch neutral: Das heißt es spielt keine Rolle, ob sich jemand politisch links, rechts, liberal oder ökologisch einordnet, oder auch in keine dieser Schubladen gesteckt werden will. Wir treten dafür ein, dass alle Meinungen gehört werden.
Allerdings darf es keinen Platz geben für Extremismus, Rassismus, Hass oder Hetze. Weder hier an der Uni - noch in unserer Gesellschaft. Wenn man von den Wahnvorstellungen so mancher hört, die davon halluzinieren, Menschen mit Migrationshintergrund massenhaft zu deportieren, dann wird mir ehrlich gesagt schlecht.
Vor allem aber sind wir sehr besorgt darüber, dass sich solches Gedankengut scheinbar schleichend in der Mitte unserer Gesellschaft einnistet und eine Partei wie die AfD, die bewusst die Nähe zu Rechtsextremen sucht, immer mehr Anhänger:innen findet.
Deshalb unterstützen wir die Demonstrationen, die im Moment an sehr vielen Orten stattfinden. Auch wir selbst als Studierendenvertretung wollen bei diesem Thema künftig deutlich sichtbar Farbe bekennen, u.a. über unser Social Media-Kanäle.
Wir denken bei diesem Thema natürlich ganz besonders auch an unsere internationalen Studierenden hier in Hohenheim. Deshalb hatten wir auch angeregt, eine:n von ihnen zu diesem Gespräch heute einzuladen.
Zum Thema |
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Das war eine sehr gute Idee! Und danke Uttej, dass du heute dabei bist und deine Sicht beisteuerst.
Jason sprach ja gerade Medienberichte über die Correctiv-Recherche an. Dabei ging es um ein Geheimtreffen von Neonazis, AfD-Politikern und Unternehmern, um zu planen, wie Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland verdrängt werden können. Hast das verfolgt?
Uttej: Natürlich. Selbst Internationals, die nicht regelmäßig die deutschen Medien verfolgen, haben das mitbekommen. Viele sind tief verunsichert. Und nicht nur Internationals. Ich habe mich neulich in der TMS-Cafete mit einer Studentin unterhalten, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Auch sie blickt mit Sorgen in die Zukunft, da ihr Vater Immigrant ist.
Zunächst einmal möchte ich aber noch etwas Anderes sagen: Ich habe Deutschland ganz anders kennengelernt. Ich bin begeistert von der deutschen Kultur. Und in die Uni Hohenheim bin ich echt verliebt. Ich habe hier besondere Momente in meinem Leben erlebt, und wünsche mir, dass das auch in Zukunft so sein wird.
Wenn man in meinem Heimatland Indien danach fragt, was die Leute mit Deutschland verbinden, gehören die Nazi-Vergangenheit und der zweite Weltkrieg sicherlich noch immer unwillkürlich zu den Assoziationen.
Doch inzwischen denkt man gleichzeitig auch an das Deutschland von heute: Ein weltoffenes, wirtschaftlich erfolgreiches Land mit sehr geringer Kriminalität, das es geschafft hat, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen und daraus zu lernen. Das hat mich beeindruckt und war einer der Gründe, warum ich mich für ein Studium hier entschieden haben.
Umso so schlimmer, dass du hier nun eine Zeit miterlebst, in die rechtsradikales Gedankengut offenbar wieder Fuß in breiteren Kreisen fasst.
Jason, gab es für dich eigentlich einen besonderen Schlüsselmoment, wo du dir dachtest: Okay, unsere Demokratie ist möglicherweise verwundbarer als geglaubt?
Jason: Hm, Schüsselmoment, ich weiß nicht.
überlegt.
Natürlich rütteln einen die aktuellen Medienberichte wach oder wenn man sich klarmacht, dass die AfD, die sich über die Jahre immer weiter radikalisiert hat, nun realistische Chancen hat, stärkste Kraft in einem Bundesland zu werden.
Doch das Schlimme ist eigentlich, dass es eben nicht den einen Schlüsselmoment gibt. Alles ist eher so ein schleichender Prozess. Die Entwicklung kommt ja nicht aus dem nichts. Und natürlich ist sie nicht nur auf Deutschland beschränkt. In anderen europäischen Ländern sind rechtsradikale und populistische Kräfte zum Teil sogar noch viel stärker.
Das muss uns eine Warnung sein. Die großen Demonstrationen der Zivilgesellschaft hätte es eigentlich schon viel früher geben müssen. Auch die Studierendenvertretung hat sich ja in den vergangenen Jahren nur wenig zum Thema geäußert.
Vielleicht liegt es daran, dass wir in einer Situation aufgewachsen sind, in der Demokratie und Rechtstaat etwas völlig Selbstverständliches waren. Der Gedanke, dass das nicht für alle Zeiten so bleiben muss, ist verstörend - und man schiebt ihn lange irgendwie weg. Umso wichtiger ist, dass jetzt etwas in Bewegung kommt.
Das Motto vieler Demonstrationen trifft es für mich auf den Punkt: Nie wieder ist jetzt.
Uttej, würdest du Freunden in Indien eigentlich noch immer empfehlen für ein Studium nach Deutschland zu kommen?
Uttej: Nun ja, ich bin da etwas zwiegespalten.
Für mich ganz persönlich überwiegen die positiven Erfahrungen. Deutschland wurde für mich im Großen und Ganzen seinem guten Ruf gerecht. Nicht immer, nicht überall. Aber die meiste Zeit. Ganz besonders hier an der Uni. Hohenheim ist definitiv ein Safe Space für uns Internationals. Das heißt nicht, dass es leicht ist, hier richtig anzukommen und deutsche Freunde zu finden. Doch das ist ein anderes Thema.
Die aktuellen Entwicklungen in Deutschland sind allerdings auch für mich beängstigend. Niemand weiß, wie sich die Dinge weiterentwickeln. Ich würde Freunden also raten, nicht naiv zu sein und sich genau über die aktuelle Situation zu informieren. Und sie sollten definitiv auch darauf zu achten, wohin genau in Deutschland sie gehen möchten. Die Stimmung ist regional doch sehr unterschiedlich.
Auch der Unterschied zwischen Stadt und Land kann groß sein. Vor einigen Wochen war ich auf einer Exkursion in Leipzig und hatte eine Unterkunft in einem ländlichen Gebiet am Stadtrand. Eine Gruppe von Fußballfans hat dort an einer Haltestelle den Hitlergruß gezeigt als wäre es die normalste Sache der Welt. Das hat mich ziemlich schockiert.
Aber ich würde meinen Freunden in Indien auch davon erzählen, dass ich auf dem Schlossplatz in Stuttgart an einer Demonstration mit tausenden Menschen teilgenommen habe, aus allen Bereichen der Gesellschaft, die alle nicht wollen, dass Nazis wieder an die Macht kommen. Und dass es diese Demonstrationen in ganz Deutschland gibt.
Sprechen wir zum Schluss noch einmal kurz über die Uni Hohenheim. Wie sollten wir eurer Meinung nach am besten auf die aktuellen Entwicklungen reagieren?
Jason: Meine Hoffnung ist, dass wir uns hier in Hohenheim alle zusammen als Gemeinschaft gegen diese Entwicklung stellen.
Deshalb finde ich es z.B. gut, dass die Uni-Leitung bereits ein Statement zum Thema veröffentlicht hat. Auch wir seitens der Studierendenvertretung wollen uns, wie gesagt, in Zukunft häufiger dazu äußern. Es wird im kommenden Semester ein Schwerpunkt in unserem AStA-Referat sein und es wird sicherlich auch Aktionen oder Veranstaltungen geben.
Vor allem glaube ich aber, dass wir es als Anlass nehmen sollten, im Alltag auf dem Campus unsere Werte wirklich zu leben. Wir sollten internationalen Studierenden oder auch internationale Forschende und Beschäftigte noch viel mehr in unsere Mitte nehmen und ihnen zeigen, dass sie hier willkommen sind.
Uttej, du hast die Uni Hohenheim ja als einen Ort beschrieben, an dem du dich sehr wohl und sicher fühlst. Trotzdem klang auch kurz an, dass es für Internationals nicht in jeder Hinsicht leicht ist. Möchtest du mehr darüber erzählen?
Uttej: Gerne. Aber wie gesagt: Es geht hier nicht um eine grundsätzliche Kritik, sondern darum, wie es sogar noch besser sein könnte für uns Internationals.
Heute bin ich richtig angekommen an der Uni Hohenheim. Ich bin Mitglied in unterschiedlichen Gruppen, wie AKN, Greening Hohenheim, FRESH, um nur einiges zu nennen. Ich habe Freundschaften geschlossen und fühle mich auf dem Campus wahrgenommen. Das fühlt sich wahnsinnig gut an.
Doch bis dahin war es ein harter Weg und viele internationale Studierende schaffen es leider nicht, ihre Bubble zu verlassen.
Was würde euch dabei helfen?
Uttej: Natürlich müssen wir dazu selbst aktiv werden. Aber es würde definitiv helfen, wenn es ein paar mehr ermutigende Signale seitens der Uni-Leitung und der Uni-Community an uns geben würde: Hey, wir haben Interesse an euch, schön, dass ihr da seid, kommt doch dazu! Und es wäre toll, wenn das nicht nur nach tragischen Vorfällen geschieht, wie aktuell nach dem Geheimtreffen der rechtsextremistischen AfD-Politiker.
Wir haben die Willkommenswoche und wir haben das Auslandsamt als Anlaufstelle. Das ist wunderbar. Doch im Alltag fühlt es sich oft an, als würde man für viele auf dem Campus gar nicht richtig existieren.
In der Anfangszeit habe ich diese extreme Zurückhaltung geradezu als feindselig empfunden. Heute weiß ich es besser. Es ist eine Mentalitätsfrage. Deutsche tun sich eben nicht leicht, offen auf Menschen zuzugehen, das ist nichts Persönliches. Inzwischen bin ich mit Leuten befreundet, von denen ich anfangs fälschlicherweise dachte, sie hätten irgendetwas gegen mich.
Wenn wir es ernst meinen mit Diversity an der Uni sollten wir uns wohl öfter einen Ruck geben und aufeinander zugehen.
Uttej: Das wäre ein sehr guter Anfang, ja. Das gilt natürlich auch für uns Internationals.
Und es wäre wirklich schön, wenn es auch unter dem Semester mehr Gelegenheiten auf dem Campus gäbe, wo Internationals ganz ausdrücklich eingeladen werden und die Chance besteht, in gemischten Gruppen mit Deutschen Kontakte zu knüpfen. Diversity in den großen und kleinen Aspekten an der Universität zu etablieren könnte ein Gewinn für alle sein.
Natürlich müssen wir dazu auch Sprachbarrieren überwinden. Wir bemühen uns Deutsch zu lernen, aber wir sind doch oft darauf angewiesen, dass ihr uns mit Englisch entgegenkommt.
Leider gibt es für uns auch viele weitere Barrieren. In der Studierendenvertretung sind z.B. fast ausschließlich deutsche Studierende aktiv. Dadurch bekommen wir Internationals vieles gar nicht mit. Viele wissen z.B. gar nicht, dass der AStA auch für sie eine Anlaufstelle ist, wenn sie Probleme haben oder Diskriminierung erleben.
Jason: Du hast recht. Und das Thema ist definitiv bei uns in der Studierendenvertretung angekommen. Leider tun wir uns allgemein nicht immer leicht Studierende mit unseren Themen zu erreichen, auch die deutschen. Aber wir arbeiten daran und wollen uns weiter öffnen. Dinge kommen in Bewegung, wenn auch langsam. Danke, dass du es so offen ansprichst. Wir bleiben da dran.
Vielen Dank für das Interview an euch beide! Wir werden berichten.
Interview: Leonhardmair