100 Jahre erste ordentliche Professorin [28.03.23]
Es war ein steiniger Weg: Margarete von Wrangell wurde vor 100 Jahren als erste Frau auf eine ordentliche Professur in Deutschland berufen – an der Uni Hohenheim. Die Agrikulturchemikerin lehrte und forschte als Professorin für Pflanzenernährung und musste sich über viele Hindernisse hinwegsetzen. Am 27. März 2023 beging ihre alte Wirkungsstätte das Jubiläum mit einem Festakt im Balkonsaal, gemeinsam mit der LaKoG Baden-Württemberg, dem VBWW und dem Wissenschaftsministerium MWK. Neu entstanden sind auch ein Film mit historischem Filmmaterial und eine Website zum Thema – beides zu finden unter www.erste-professorin-deutschlands.de.
24,1 Prozent aller Professuren an den Unis in Baden-Württemberg waren 2021 weiblich besetzt – so die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes. 25 Jahre zuvor lag der Frauen-Anteil bei lediglich 5,5 Prozent. Vor 100 Jahren war sogar diese Zahl noch unvorstellbar: Im Jahr 1923 wurde erstmals in Deutschland eine Frau auf eine ordentliche Professur berufen – die Chemikerin und Botanikerin Margarete von Wrangell an der Uni Hohenheim.
Frauen wie Margarete von Wrangell legten den Grundstein dafür, dass Frauen in der Wissenschaft immer sichtbarer und erfolgreicher werden. Das hob Rektor Prof. Dr. Stephan Dabbert in seiner Begrüßung an der Jubiläumsfeier hervor. „Entscheidend ist jedoch in der heutigen Zeit, dass wir uns aktiv für die Gleichstellung einsetzen. Bei uns an der Universität Hohenheim wirken zum Beispiel die aktive Rekrutierung von Frauen und das Programm MentHo (Mentoring Hohenheim). Der Frauenanteil in der Professorenschaft lag bei uns 2021 mit 27,8 Prozent zwar sogar über dem Landesdurchschnitt, doch damit können wir uns nicht zufrieden geben.“
Trotz aller Fortschritte sieht auch Wissenschaftsministerin Petra Olschowski nach wie vor erheblichen Handlungsbedarf: „Ein Jahrhundert nach Deutschlands erster ordentlicher Professorin sind wir noch weit von einer Parität von Frauen und Männern in der Wissenschaft und an unseren Hochschulen entfernt – aber erfolgreiche Gleichstellung muss unser Ziel sein“, so Petra Olschowski. Der Blick über die deutschen Grenzen hinaus zeigt, dass selbst in den Ingenieurwissenschaften paritätische Frauenanteile möglich sind. „Gerade in den MINT-Fächern brauchen junge Frauen hierzulande mehr Vorbilder: Deshalb zählt jede zusätzliche Professorin. Für eine positive wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Baden-Württembergs sind wir auf unsere hochqualifizierten Frauen angewiesen!“ Das Land unterstütze diese Gleichstellungsziele unter anderem mit strukturellen Maßnahmen und individuellen Frauenförderprogrammen.
Namensgeberin für ein gleichstellungspolitisches Landesprogramm
Die Hohenheimer Gleichstellungsbeauftragte Prof. Dr. Ute Mackenstedt formulierte ehrgeizige Ziele: „Bei den Studierenden hatten wir im Wintersemester 2021/22 rund 58 Prozent Studentinnen, bei den Promovierenden lag der Frauenanteil bei 54 Prozent. Wir streben auch auf Ebene der Professur eine paritätische Besetzung an.“
Dr. Dagmar Höppel (VBWW) und Dr. Birgid Langer (LaKoG) betonten, dass es auch auf Landesebene – bei allen Erfolgen – noch Luft nach oben gibt. In der Vergangenheit sei das Margarete von Wrangell-Programm ein wertvoller Baustein zur Frauenförderung gewesen, das die Habilitation von qualifizierten Wissenschaftlerinnen fördert. Das Land Baden-Württemberg hatte es 1997 erstmals ausgeschrieben. „Das Landesprogramm hat seitdem viel zur Förderung exzellenter Nachwuchswissenschaftlerinnen beigetragen“, legte Dr. Höppel dar. „Rund 60 Prozent der Fellows haben eine Professur erhalten, 90 Prozent sind in der Wissenschaft verblieben.“
Margarete von Wrangells steiniger Weg zum Erfolg
Margarete von Wrangells Pionierleistung sei beachtlich, erklärte Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern, Historikerin an der Uni Heidelberg. „Sie war in erster Linie Wissenschaftlerin und nicht Frauenrechtlerin. Doch der Wert von Netzwerken, auch Frauennetzwerken, in denen sie sich engagierte, war ihr sehr bewusst. Sie waren eine Ressource für sie als erste ordentliche Professorin Deutschlands. Als erste Frau in dieser Position hatte sie gegen massiven Widerstand zu kämpfen.“
„Von Wrangells Forschung, unter anderem mit Nobelpreisträgerin Marie Curie, erregte großes Aufsehen, so dass sie 1920 an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim habilitiert wurde“, berichtete die Expertin. „Doch ihre Forschungsleistung war nicht der alleinige Grund für ihre spätere Berufung: Die Düngemittel-Industrie stellte der Reichsregierung 75 Millionen Mark zur Errichtung eines Instituts für Pflanzenernährung zur Verfügung – gebunden an die Person von Wrangells.“
Als sie verlangte, auch einen ordentlichen Lehrstuhl übertragen zu bekommen, regte sich Widerstand im Hohenheimer Lehrerkonvent. Ihre späteren Kollegen bezweifelten bei einer Senatssitzung, „ob eine Frau in der Lage sei, ein Institut mit größerem männlichen Personal zu leiten.“ Anfeindungen gab es auch auf fachlicher Ebene: Kurz vor ihrer Ernennung wurden Plagiats-Vorwürfe laut, die jedoch im Sande verliefen.
Margarete von Wrangell machte daraufhin ihren Einfluss in Berlin geltend und überging damit den Hohenheimer Lehrerkonvent. „Das württembergische Ministerium reagierte: Hohenheim erfuhr zuerst aus der Presse von einem Erlass, nach dem von Wrangell mit Wirkung vom 1. Januar 1923 zur ordentlichen Professorin ernannt worden sei.“ Sie war für lange Zeit die einzige in Hohenheim – erst 1974 gab es mit Prof. Dr. Leonore Blosser-Reisen wieder eine ordentliche Professorin an dieser Universität.
Wegweisende Forschung, die noch heute aktuell ist
„Margarete von Wrangells Herz schlug ganz und gar für die Wissenschaft – und ihre Erkenntnisse waren richtungsweisend“, betonte Prof. Dr. Torsten Müller. Er leitet das Fachgebiet Düngung und Bodenstoffhaushalt. Zusammen mit Prof. Dr. Uwe Ludewig vom Fachgebiet Ernährungsphysiologie der Kulturpflanzen steht er damit in der Nachfolge der Pionierin.
Von Wrangell beschäftigte sich vornehmlich mit Phosphor – neben Stickstoff eines der wichtigsten Elemente für Düngemittel. „Sie erkannte, dass schwer lösliche Phosphate im Boden in pflanzenverfügbare Formen umgewandelt werden können“, erklärte der Agrarwissenschaftler. „Aufgrund dieser Erkenntnis konnte die Phosphatdüngung in Deutschland reduziert und optimiert werden. Das machte die deutsche Landwirtschaft damals unabhängiger von importierten Rohphosphaten.“
Denn Phosphat ist ein endlicher Rohstoff. Noch heute kommt die landwirtschaftliche Produktion weltweit nicht ohne zusätzliches Phosphat aus, das in natürlichen Lagerstätten abgebaut werden muss. „Gelingt es nicht, diese Ressource nachhaltiger zu nutzen, steuert die Menschheit auf eine ernste Krise zu. Phosphor ist als Nährstoff für Pflanzen, Tiere und Menschen unersetzlich.“
Die Uni Hohenheim arbeitet daher noch heute in zahlreichen Projekten daran, Phosphat ressourcenschonend einzusetzen und aus nachhaltigen Quellen zu gewinnen – aus Bioabfällen, häuslichem Abwasser oder Gärresten aus der Biogasanlage. „Unser Ziel ist eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft im Sinn der Bioökonomie“, schloss Prof. Dr. Müller.
Zur Person: Prof. Dr. Margarete von Wrangell
Die deutsch-baltische Adlige Margarete von Wrangell kam am 7. Januar 1877 in Moskau auf die Welt und wuchs in Reval (heute Tallinn) in Estland auf. Zunächst wurde sie Lehrerin für Naturwissenschaften, doch dies füllte sie nicht aus. Ihre Berufung fand sie durch den Besuch eines Ferienkurses in Botanik an der Universität Greifswald. Sie schrieb sich als eine der ersten Studentinnen an der Universität Tübingen ein und promovierte 1909 in Chemie.
Anschließend forschte sie unter anderem mit dem Nobelpreisträger Sir William Ramsay in London und der Nobelpreisträgerin Marie Curie in Paris. 1912 übernahm sie die Leitung der Versuchsstation des Estländischen Landwirtschaftlichen Vereins in Reval.
Während der russischen Oktoberrevolution floh sie 1918 an die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim, wo sie 1920 habilitiert wurde. Es war die erste Hohenheimer Habilitation überhaupt. In ihrer Forschung beschäftigte sie sich intensiv mit dem Einsatz von Mineraldüngern und erwarb sehr schnell ein beachtliches wissenschaftliches Renommee. Dabei galt ihr Hauptaugenmerk dem Phosphat – damals wie heute ein knapper Rohstoff.
1921 erhielt die Reichsregierung 75 Mio. Mark von der Düngemittel-Industrie zur Errichtung eines Instituts für Pflanzenernährung. Dieser Fonds war an Margarete von Wrangell gebunden. Gegen den Widerstand mancher Hohenheimer Professoren wurde sie 1923 nicht nur Institutsleiterin, sondern entsprechend ihrer Forderung auch zur ersten ordentlichen Professorin Deutschlands berufen. Ihr Institut leitete sie bis zu ihrem frühen Tod am 31. März 1932. Noch heute bildet es, mittlerweile aufgegangen im Institut für Kulturpflanzenwissenschaften, eine wichtige Säule der agrarwissenschaftlichen Forschung an der Uni Hohenheim.
Text: Elsner