Scholz trifft Hohenheimer Agrar-Roboter [10.12.22]
Very Important Robot: Als Kanzler-Exponat holte Olaf Scholz den Agrar-Roboter „Phoenix“ der Uni Hohenheim am Freitagnachmittags ins Rampenlicht des Digital-Gipfels 2022 in Berlin. Im Gespräch mit Hohenheimer Agrarwissenschaftlern ließ sich der Bundeskanzler erläutern, wie das Multitalent seine künstliche Intelligenz und Robotik dazu nutzt, die zukünftige Landwirtschaft mit Umwelt- und Artenschutz zu versöhnen. Impressionen vom Gipfel gibt es auch in einem Video: www.youtube.com/watch
Den ersten Auftritt auf der politischen Weltbühne hatte Phoenix im Mai 2022: Als Star des wissenschaftlichen Begleitprogramms beeindruckte er die Agrarminister der G7 Staaten, die sich zur Konferenz an der Uni Hohenheim trafen.
Offensichtlich ist sein Ruf dem Roboter nun bis nach Berlin vorausgeeilt: Auf dem Digital-Gipfel wollte Bundeskanzler Olaf Scholz den Phoenix persönlich kennenlernen, erfuhr die Uni im Vorfeld. So wurde das kleine Hohenheimer Multitalent zum sogenannten Kanzler-Exponat.
Das heutige Zusammentreffen von Kanzler und Maschine war einer der Höhepunkte zum Abschluss des Digital-Gipfels. Zwei Tage lang hatten sich Mitglieder des Bundeskabinetts zuvor mit Vertreter:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft ausgetauscht.
Als Plattform zur Gestaltung des digitalen Aufbruchs erhebt der Digital-Gipfel der Bundesregierung den Anspruch, Impulsgeber, Treiber und Schaufenster der Digitalisierung in Deutschland und darüber hinaus zu sein.
Landwirtschaft 4.0: Punktgenaue Feldarbeit für mehr Umwelt- und Artenschutz
Auf den Versuchsfeldern der Uni Hohenheim ist der Multifunktions-Roboter bereits dabei, den Einsatz von Dünger und Pflanzenschutzmitteln drastisch zu reduzieren. Als Leichtgewicht mit bodenschonendem Bandlaufwerk schützt Phoenix den Boden vor Verdichtung. Gezielt eingesetzt kann er Agrarwirtschaft mit Umwelt-, Klima- und Artenschutz weiter versöhnen.
Drittmittelprojekte NOcsPS & DiWenkLa |
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Die Basis-Variante des Agrarroboters Phoenix wurde am Fachgebiet für Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion unter Leitung von Prof. Dr. Hans W. Griepentrog mit Mitteln der Uni Hohenheim entwickelt. |
Möglich ist dies durch das Internet der Dinge, bei dem Roboter und andere Maschinen auch über das Internet miteinander kommunizieren. Und durch die künstliche Intelligenz, die große Datenmengen aus Land- und Lebensmittelwirtschaft auswertet, wie Prof. Dr. Hans W. Griepentrog vom Fachgebiet Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion dem Bundeskanzler erklärte.
„In der Landwirtschaft 4.0 erfassen Drohnen den Zustand von Äckern mit Kameras und Lasersensoren. Die künstliche Intelligenz beurteilt, an welchen Stellen Wasser, Dünger oder Pflanzenschutz benötigt werden. Die digitale Technik steuert auch die Roboter, die die Felder punktgenau bearbeiten. Die Landwirte sparen Betriebsmittel – Klima, Umwelt und Artenvielfalt werden geschont“, erläutert Griepentrog.
Aktuelle Versuche zielen auf Verzicht synthetischer Pflanzenschutzmittel
Manche Forschungsprojekte der Uni Hohenheim nutzen auch Phoenix dazu, um vollständig auf Pflanzenschutzmittel zu verzichten. Eine passende Ausrüstung hat Phoenix auf den Digital-Gipfel mitgebracht.
„Hier in der Front des Roboters befindet sich intelligente Sensorik, die Kulturpflanzen von Unkraut unterscheiden kann“, erläutert Griepentrog. Dazu erfasse der Roboter Pflanzen mit Kamera- und Lasersensoren und werte die Daten mit Methoden der künstlichen Intelligenz in Echtzeit aus.
Am Heck befinden sich dann die Werkzeuge, die Unkräuter mechanisch und ohne Einsatz von Pflanzenschutzmitteln entfernen. „Verschont bleiben Kulturpflanzen und weitgehend die Begleitflora, die das Wachstum der Kulturpflanze fördert und Lebensraum für Insekten bietet“, so Alexander Stana, Doktorand der Agrartechnik in Hohenheim.
Bodenschonender Einsatz als Weißkohl-Pflanzer
Weitere Aufträge für Phoenix: Getreidekörner in Einzelkornsaat ausbringen oder Weißkohl besonders energiesparend und bodenschonend pflanzen.
Um Kohl-Setzlinge zu setzen, reißen bislang noch schwere Schlepper mit breiten Scharen den Boden auf. „Überflüssig“, urteilte Nils Lüling, der zurzeit am Fachgebiet Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion in Hohenheim promoviert. Statt mit einem starren Schar stattete Lüling den Phoenix mit einem aufklappbaren Schar aus.
Zusammengeklappt zieht das Gerät nur eine dünne Furche in den Boden. Nur alle 60 cm klappt das Schar auf volle Breite auf. So wird der Boden nur da geöffnet, wo es nötig ist. Dadurch benötigt das Gerät auch weniger Zugkraft, was Energie spart.
Durch ein Plexiglasrohr lässt Phoenix je einen Setzling genau in den offenen Boden fallen. Eine Kamera kontrolliert Abstand und Position der Pflanzungen.
Testeinsatz für den Baumschnitt auf Streuobstwiesen
In einem weiteren Forschungsprojekt trainierten die Forschenden den Multifunktionsroboter darin, Strukturen von Baumkronen auf den typisch schwäbischen Streuobstwiesen zu erkennen und ihren Pflegezustand zu beurteilen. Denn vielerorts ist diese ökologisch wertvolle Kulturlandschaft aufgrund mangelnder Pflege schon auf dem Rückzug.
Dazu bestückten sie Phoenix mit einem Scanner, der seine Umgebung als dreidimensionale Punktewolken erfasst. Dank Künstlicher Intelligenz entsteht daraus das digitale Abbild, der Digital Twin eines Baumes. Mit dessen Hilfe soll Phoenix entscheiden können, wo er oder ungeschultes Personal die Säge ansetzen soll.
Kostengünstiges Leichtgewicht mit Strom aus PV-Anlagen und Biogas
Den Haupteinsatz sieht Griepentrog jedoch weiterhin auf dem Acker. Seine Vision: Schwärme kleiner Phoenix-Roboter, die gemächlich und autonom über die Felder navigieren, um schonender und zielgenauer zu arbeiten als große und schwere Landmaschinen dies je könnten.
„Die Geräte sind leicht und kostengünstig. Und den Strom können Landwirte selbst durch PV-Anlagen oder im Blockheizkraftwerk mit Biogas produzieren“, so Griepentrog.
Sein wichtigstes Anliegen auf dem Digital-Gipfel: „Wir wollen zeigen, dass die Agrarwissenschaft bei der Digitalisierung besonders innovativ voranschreitet.“ Bei Bundeskanzler Olaf Scholz ist diese Botschaft bereits im Vorfeld angekommen.
HINTERGRUND: Agrar-Roboter Phoenix
Der Agrar-Roboter Phoenix der Uni Hohenheim hat geringere Abmessungen als ein PKW-Anhänger und lässt sich je nach Aufgabe mit verschiedenen Sensoren und Werkzeugen bestücken. Der Roboter wiegt ca. 420 kg plus Anwendung und bewegt sich bodenschonend auf zwei Bandlaufwerken. Angetrieben wird er von einer 52 Volt Batterie mit 120 Ah. Die Arbeitszeit beträgt durchschnittlich 8-12 Stunden. 3 weitere Linearmotoren können die Anbaugeräte immer in ihre beste Position setzen.
Als Gehirn des Phoenix dient das Betriebssystem Linux Ubuntu. Diese Software steuert alle Funktionen für Navigation, Analyse der Sensordaten und die gesamte Aktorik. CAN-, Serial-, USB- und Ethernet-Interfaces ermöglichen den Anschluss verschiedener Kameras u.a. Sensoren. Die Basis-Variante wurde am Fachgebiet für Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion der Universität Hohenheim von dessen Leiter Prof. Dr. Hans W. Griepentrog mit Mitteln der Universität entwickelt. Die jeweiligen Weiterentwicklungen erfolgten in verschiedenen Drittmittelprojekten wie z.B. den Projekten „NOcsPS“ vom BMBF oder „DiWenkLa“ vom BMEL (s.u.).