Sie betrachtet Bioökonomie ganzheitlich [28.01.22]
Es ist seit Jahren das Leitthema der Universität Hohenheim, das nun auch einem Fachgebiet den Namen gab: die Bioökonomie. Angesiedelt an der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften leitet es Jun.-Prof. Dr. Franziska Schünemann seit April 2020.
Update (1.5.2024): Prof. Dr. Franziska Schünemann hat zum 1. Mai 2024 – nach erfolgreicher Bewährungsphase (Tenure-Track) – in einem speziellen Berufungsverfahren eine dauerhafte, reguläre Professur erhalten.
Die Volkswirtin hat den Dreiklang Wirtschaft-Gesellschaft-Umwelt im Blick. Denn beim Schutz der Umwelt und des Klimas darf man Wirtschaft und Gesellschaft nicht außer Acht lassen. Jun.-Prof. Dr. Schünemann analysiert in Forschung und Lehre mögliche Zielkonflikte zwischen diesen Bereichen. Sie betont, dass eine erfolgreiche Transformation zu einer nachhaltigen, bio-basierten Wirtschaft nur zu schaffen sei, wenn man möglichst viele Menschen mitnimmt.
Frau Schünemann, Ihr Fachgebiet wurde mit Ihrem Start in Hohenheim neu eingerichtet, doch das Thema, die Bioökonomie, ist schon seit rund 10 Jahren das Hohenheimer Leitthema. Ist Ihre Professur gewissermaßen inhaltlich übergeordnet?
Mein Fachgebiet ist Teil des Instituts für Volkswirtschaftslehre an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Als Volkswirtin beschäftige mich daher mit den Auswirkungen der Bioökonomie durch volkswirtschaftliche Verflechtungen zwischen Produzent:innen und Konsument:innen über Märkte.
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Gleichzeitig liegt meiner Forschung und Lehre eine ganzheitliche Sichtweise der Bioökonomie mit den drei Dimensionen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt zu Grunde. Ich arbeite interdisziplinär eng zusammen mit Forschenden aus den Agrar- und Naturwissenschaften, aber auch aus der Geographie und natürlich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit möchte ich auch im Computational Science Lab und im Bioeconomy Lab weiter ausbauen. Daher sehe ich meine Professur schon als Bindeglied zwischen den Fakultäten.
Wie war Ihr persönlicher Weg bis zur Professur in Hohenheim?
Ich habe zunächst ganz klassisch Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Mannheim, Bergen (Norwegen), Göttingen und Groningen (Niederlande) studiert. Über die Entwicklungsökonomie bin ich zu meiner Promotion an der Uni Hohenheim in Agrarökonomie gekommen, für die ich auch am International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington DC geforscht habe.
2016 bin ich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Institut für Weltwirtschaft Kiel in den Forschungsbereich Umwelt und natürliche Ressourcen (heute: Global Commons und Klimapolitik) gegangen, mit dem ich noch affiliiert bin. 2020 habe ich dann den Ruf der Universität Hohenheim angenommen.
Was ist die wichtigste Frage, die Sie bei Ihrer Arbeit antreibt?
Das ist tatsächlich die drängendste Frage überhaupt: Wie schaffen wir den Übergang zu einer nachhaltigen, bio-basierten Wirtschaftsweise, die den Klimawandel bremst und ihm gegenüber resilient ist, aber gleichzeitig möglichst geringe negative wirtschaftliche und soziale Folgen nach sich zieht?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir interdisziplinär und ganzheitlich denken, forschen sowie den Dreiklang Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt gleichzeitig betrachten.
Wenn Sie über unbegrenzte Mittel und Möglichkeiten verfügen könnten: Welches Projekt würden Sie in Angriff nehmen?
Ich würde gerne einen großen interdisziplinären Simulationsmodellverbund entwickeln, der in der Lage ist, die Rückkopplungen zwischen Mensch und Natur realistisch und en Detail abzubilden , quasi ein riesiges Integrated Assessment Modell. Man müsste dafür z.B. ein Klimamodell, ein Pflanzenwachstumsmodell und ein globales allgemeines Gleichgewichtsmodell (ökonomischen Marktmodell) auf sehr disaggregierter Ebene, mindestens auf Länderebene miteinander koppeln. Dann könnte man beispielsweise Auswirkungen von Strategien zur Anpassung an den Klimawandel für sehr detaillierte Regionen und die Wohlfahrtseffekte für bestimmte Haushalte untersuchen.
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Eine Schwierigkeit ist dort die Frage des Zeithorizonts: Wir koppeln bereits ökonomische mit Pflanzenwachstumsmodellen, um die Auswirkungen von landwirtschaftlichen Ertragsänderungen auf Produktion und Handel zu untersuchen. Unsere ökonomischen Modelle laufen maximal 20 Jahre in die Zukunft – danach ist es schwierig, Vorhersagen über die wirtschaftliche Entwicklung zu treffen.
Interessanterweise passiert aber laut Klimamodell/Pflanzenwachstumsmodell in den nächsten 20 Jahren noch nicht so viel in Bezug auf landwirtschaftliche Ertragsänderungen durch den Klimawandel. Im Mittel jedenfalls, wenn wir extreme Wetterereignisse außer Acht lassen. Man müsste also einen längeren Zeitraum betrachten, um Rückkopplungen mit dem Klimawandel zu erfassen. Das wird auch teilweise schon gemacht, aber die ökonomischen Annahmen sind nicht unbedingt realistisch.
Mit welchen Forschungsthemen beschäftigen Sie sich im Augenblick?
Methodisch beschäftige ich mich, wie gerade schon angeklungen, mit der Entwicklung von interdisziplinären Simulationsmodellsystemen. Ich koppele ökonomische mit biophysikalischen Modellen, um zu analysieren, wie sich Treiber wie Politikmaßnahmen oder der Klimawandel gleichzeitig auf die ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Wirkungsebenen auswirken. Damit lassen sich mögliche Zielkonflikte und Synergien zwischen diesen Ebenen im Voraus identifizieren.
Thematisch liegt mein Fokus zum einen auf den Potenzialen einer nachhaltigen Nutzung von Biomasse in der Bioökonomie. Z.B. untersuche ich, wie sich die deutsche und europäische Klima- und Energiepolitik – wie etwa die Neufassung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie der Europäischen Union (RED II) – auf internationale Agrarmärkte, Nahrungsmittelpreise und Landnutzung auswirken. Auch eine verbesserte Verfügbarkeit von Biomasse für die Bioökonomie ist hierbei ein wichtiges Element. Dies könnte durch die Nutzung von Reststoffen geschehen oder auch durch eine Umstellung unserer sehr fleischintensiven Ernährung auf pflanzliche Proteinquellen.
Wichtig ist, mögliche Zielkonflikte mit zu betrachten. Agrarreststoffe werden z.B. schon in der Tierhaltung ökonomisch genutzt. Gleichzeitig muss ein erheblicher Teil der Reststoffe auf dem Feld verbleiben, um die Humusbilanz aufrecht zu erhalten. Wenn wir tierische Produkte teurer machen, um deren Konsum zu verringern, trifft das vor allem einkommensschwächere Haushalte, da diese einen größeren Teil Ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben.
Mein zweites großes Forschungsthema ist im Bereich der Entwicklungsökonomie angesiedelt. In unserem Projekt LANDYN (Land and labor dynamics in the future of African transformation) untersuchen wir zusammen mit IFPRI die Auswirkungen von Land- und Arbeitsdynamiken – also Landkonsolidierung auf der einen Seite und Abwanderung von Arbeitskräften in die Städte auf der anderen Seite – in Ghana, Tansania und Malawi auf landwirtschaftliche Produktivität, Strukturwandel und wirtschaftliche Transformationspfade. Uns interessiert, wie sich Farmer an die geänderten Gegebenheiten anpassen und ob hierdurch nachhaltige Entwicklungspfade erreicht werden können.
Können sich Studierende denn schon an Forschungsprojekten beteiligen?
Auf jeden Fall! Zum einen können sich die Studierenden über Abschlussarbeiten an unseren Forschungsprojekten beteiligen. Dies geschieht momentan über Masterarbeiten, da ich erst ab 2022 Lehrveranstaltungen in den Bachelorstudiengängen anbieten werde. Wir versuchen aber auch immer, die Masterstudierenden im Erforschen der Themen zu bestärken, die sie ganz besonders interessieren. Daher muss eine Masterarbeit nicht direkt etwas mit unseren Forschungsprojekten zu tun haben. Und wir werden auch bald einen HiWi-Job für das Fachgebiet ausschreiben.
Was sind die wesentlichen Inhalte Ihres Lehrkonzeptes?
Wichtig ist, dass die Studierenden verstehen, wie Märkte funktionieren und wie Politikmaßnahmen durch volkswirtschaftliche Verflechtungen wirken. Beispielsweise, dass durch die weltwirtschaftlichen Verflechtungen eine EU-Politik wie die Förderung von Bioenergie Auswirkungen auf alle Regionen der Erde haben kann.
In den dafür notwendigen Grundlagenkursen arbeite ich mit Beispielen aus dem Bereich der Bioökonomie, um Theorie und Praxis zu verknüpfen. Gleichzeitig sollen die Studierenden eine ganzheitliche Sichtweise für die Bioökonomie erlangen und die Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt gleichzeitig betrachten und hinterfragen können.
Was bedeutet für Sie gute Lehre?
Gute Lehre bedeutet für mich, mit den Studierenden in den Dialog zu treten sowie Nachdenken und Diskussionen anzuregen. In meinen Lehrveranstaltungen setzen sich die Studierenden kritisch mit der Nachhaltigkeitstransformation auseinander und werden angeleitet, immer den Dreiklang Wirtschaft-Gesellschaft-Umwelt im Blick zu behalten.
Gerade der Mix ist wichtig: Es braucht gute theoretische Grundlagen, die mit Praxisbeispielen verständlich gemacht werden, um die tatsächlich auftretenden Zielkonflikte zwischen Wirtschaft und Umwelt in den Übungen analysieren zu können. Im Seminar soll dann das forschende Lernen in der kritischen Bearbeitung eines eigenen Themas kulminieren.
Wo arbeiten Ihre Absolventinnen und Absolventen später?
Dadurch, dass Bioökonominnen und Bioökonomen so breit aufgestellt sind, haben sie sehr vielfältige Möglichkeiten. Klassische Felder sind die Forschung und der öffentliche Sektor. Ich erlebe aber genauso, dass Bioökonom:innen für Unternehmen sehr interessant sind, da sie sowohl fachliche Expertise z.B. im Bereich der Natur- oder Agrarwissenschaften mitbringen, als auch verstehen, wie die Wirtschaft funktioniert.
Fachgebiet Bioökonomie |
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Seit dem 1.4.2020 leitet Jun.-Prof. Dr. Franziska Schünemann das neu eingerichtete Fachgebiet. Die Besetzung der Professur erfolgte erstmals im Programm „Master 2016“, mit dem das Land Baden-Württemberg die Kapazitäten in Master-Studienplätzen ausbauen will. Die Professur mit Tenure Track ist auf 6 Jahre befristet und wird bei Bewährung in eine reguläre Professur umgewandelt. mehr |
Welchen guten Rat geben sie den Studierenden mit auf den Weg?
Denkt ganzheitlich! Eine erfolgreiche Transformation zu einer nachhaltigen bio-basierten Wirtschaft können wir nur schaffen, wenn wir möglichst viele Menschen mitnehmen. Beim Schutz der Umwelt und des Klimas dürfen wir die Wirtschaft und Gesellschaft nicht außer Acht lassen.
Zum Schluss noch zwei persönliche Fragen, Frau Schünemann: Wie gefällt es Ihnen denn nun hier in Hohenheim?
Da ich in Hohenheim promoviert habe, wusste ich schon, wie wunderschön der Campus ist. Allerdings habe ich ja zu Beginn des ersten Lockdowns angefangen, und so ist dieses Wintersemester nach drei online-Semestern fast schon ein zweiter Start für mich. Ich schätze die Kombination aus Regionalität, Internationalität und Interdisziplinarität in Hohenheim sehr und denke, dass gerade diese Mischung die Universität so erfolgreich in der Forschung und attraktiv für Studierende macht.
Und wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Am liebsten mit meinem Hund Freddy, der sich auch manchmal in die online Vorlesungen gemogelt hat, in den Wäldern des Schwarzwaldes.
Wir danken Ihnen für das Interview, Frau Schünemann!