Update: Ökologischer Campus  [28.06.22]

Erfolg für den Artenschutz: Seit über 20 Jahren wird in den Hohenheimer Gärten weniger gemäht – nun kehren immer mehr seltene Tier- und Pflanzenarten zurück. Dank einer Großspende können Hohenheimer Forschende jetzt außerdem genauer untersuchen, welche Effekte unterschiedliche Vorgehensweisen beim Mähen für die Tier- und Pflanzenwelt haben. Auch rund um die Campus-Gebäude wurden im letzten Jahr ausgewählte Grünflächen für den Insektenschutz bestimmt. Weitere Initiativen sind geplant. Doch überall kann auch in Zukunft nicht auf das häufige Mähen verzichtet werden.


Ophrys apifera ist eine seltene Schönheit. Auf dem Hohenheimer Campus wurde die Wildorchidee, die unter dem deutschen Namen „Bienenragwurz“ bekannt ist, seit vielen Jahren nicht mehr gesichtet. Der überraschende Fund in diesem Jahr macht den wissenschaftlichen Leiter der Hohenheimer Gärten deshalb ganz besonders stolz.

Bienenragwurz

Die Bienragwurz fühlt sich in diesem Jahr wieder auf dem Campus wohl. Bild: Dalitz

„Es ist kein Zufall, dass sich seltene Wildpflanzen allmählich wieder in den Hohenheimer Gärten wohlfühlen“, betont Dr. Hartmut Dalitz. „Seit über 20 Jahren werden Wiesen im Bereich der Vegetationsgeschichte und des Landschaftsgartens nur noch 2-mal jährlich gemäht. Anders als beim herkömmlichen Mähen bleibt das Schnittgut nicht auf den Grünflächen liegen, sondern wird zu Heu verarbeitet und von einem ortsansässigen Bauern abgeholt.“

Ohne die überreiche Düngung durch das zurückgelassene Schnittgut haben sich die ehemaligen Fettwiesen im Lauf der Jahre wieder in Richtung natürlicher Magerwiesen verwandelt, die für viele heimische Pflanzen und Tiere ein überlebenswichtiges Habitat bieten. Durch das seltene Mähen kommen außerdem mehr Wildpflanzen zur Samenreife und weniger Insekten fallen dem Mähvorgang zum Opfer.


Gipshügel soll weitere seltene Arten anlocken

Darüber hinaus ergreifen die Hohenheimer Gärten zahlreiche weitere Maßnahmen, damit sich neue Biodiversität-Hotspots entwickeln. 2021 wurde beispielsweise am Pflanzensystem ein Eidechsenhabitat mit Brut- und Jagdrevier angelegt. Gegenüber befindet sich das ebenfalls 2021 errichtete Schmetterlingshabitat.


Der neuste Streich liegt Dalitz und seinen Mitstreiterinnen vom Arbeitskreis Ökologischer Campus ganz besonders am Herzen. Auf den ersten Blick sieht das Experiment wie ein schnöder Haufen Bauschutt aus. Genau genommen handelt es sich auch um etwas ganz Ähnliches: Ein Haufen Keupergips, gespendet von der Baustofffirma Knauf AG. Doch was im Moment noch karg und bizarr wirkt, soll sich im Lauf der nächsten Jahre von selbst in ein außergewöhnliches Habitat verwandeln.

Gipshaufen

Der Gipshaufen beim Phylogenetischen System soll ein Habitat für seltene Tiere und Pflanzen bieten. Bild: Dalitz

„Der Gipshügel bietet ähnliche Bedingungen wie eine natürliche Steppenlandschaft. In Mitteleuropa sind solche Lebensräume inzwischen kaum mehr vorzufinden. Unsere Prognose ist, dass sich in den kommenden Jahren ohne unser Zutun zahlreiche seltene Pflanzen- und Tiere in diesem Refugium ansiedeln werden, die man derzeit hauptsächlich noch in Österreich und Ungarn findet“, erklärt Dalitz.


Großspende ermöglicht Forschung zum Thema Mähen

Schon länger hegen Hohenheimer Forschende den Plan, die Maßnahmen in den Hohenheimer Gärten wissenschaftlich zu begleiten, damit auch andere Artenschützer:innen von den Erfahrungen profitieren können.

In diesem Jahr ließ sich die Bülow Stiftung von der Begeisterung anstecken und stellte eine Großspende für die Umsetzung eines breitangelegten Projekts zur Verfügung. In den kommenden Jahren kann nun u.a. erforscht werden, welche Auswirkungen der Zeitpunkt des Mähens, die eingesetzte Technik und die Vorgehensweise für die Artenvielfalt haben.

„Uns interessiert z.B. wie sich Pflanzen- und Tiergemeinschaften entwickeln, wenn man die erste Mahd im Juli, statt im Juni, und die zweite im Frühjahr des Folgejahrs, statt im Herbst, durchführt. Oder wie viele Insekten gerettet werden können, wenn statt des konventionellen Kreiselmähers ein klassischer Balkenmäher zum Einsatz kommt“, erklärt Dalitz. „Außerdem untersuchen wir welche Auswirkungen es hat, wenn man beim Mähen nicht großflächig vorgeht, sondern kleinere Einheiten bildet, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten an der Reihe sind.“


Das Projekt ist eine Kooperation der Hohenheimer Gärten und mehrerer Hohenheimer Fachgebiete u.a. Chemische Ökologie (Prof. Dr. Steidle), Molekulare Botanik (Prof. Dr. Steppuhn) und Pflanzliche Evolutionsbiologie (Prof. Dr. Schlüter).

Mähversuch

Im großangelegten Mahdversuch wird u.a. untersucht, wie es sich auf die Biodiversität auswirkt, wenn kleine Flächeneinheiten gebildet werden, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemäht werden. Bild: Dalitz

Auch Studierende sind aktiv eingebunden: Bereits im Frühjahr halfen sie in emsiger Kleinarbeit genau zu erheben, welche Insekten, Spinnen und Pflanzen sich wo und wie zahlreich auf den untersuchten Wiesen angesiedelt haben, damit Veränderungen im Verlauf des Versuchs gemessen werden können.


Grünflächen um Gebäude

Und wie sieht es auf dem Rest des Campus aus? Geht es nach dem Arbeitskreis Ökologischer Campus, soll auch auf ausgewählten Flächen rund um die Gebäude seltener gemäht werden.

„Angesichts des dramatischen Artensterbens brauchen wir dringend ein gesellschaftliches Umdenken“, fordert Prof. Dr. Martin Hasselmann vom Fachgebiet Populationsgenetik bei Nutztieren. „Wenn im Vorgarten Wildwuchs herrscht, sollte die erste Assoziation nicht sein: ‚Oh, da ist aber jemand faul.‘ Sondern: ‚Wow, da tut jemand etwas für den Artenschutz!‘ Als Universität sollten wir hier dringend mit gutem Beispiel vorangehen und nicht nur im Park und an den Rändern des Campus, sondern gerade auch am Schloss und vor bzw. zwischen den Institutsgebäuden ein gut sichtbares Zeichen setzen. Gerade erst wurde auch eine Bienenragwurz auf einer Fläche in der Emil-Wolff-Straße vor dem Rasenmäher gerettet.“

Gemeinsam mit weiteren engagierten Professor:innen, Beschäftigten der Hohenheimer Gärten, der Versuchsstation Agrarwissenschaft, der Verwaltung und der Initiative „Bunte Wiese“ Stuttgart, setzt er sich seit drei Jahren genau dafür ein.

Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Unter anderem müssen Nutzungskonflikte, Aspekte des Denkmalschutzes oder Brandschutzauflagen beachtet und Abnehmer für das anfallende Schnittgut gefunden werden. Anders als in den Hohenheimer Gärten ist die Uni außerdem nicht selbst für die Flächen rund um die Campus-Gebäude verantwortlich. Stattdessen müssen Lösungen mit dem Landesamt für Vermögen und Bau ausgehandelt werden, das zum Finanzministerium gehört.

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Insektenschutz auf ausgewählten Flächen

Mit langem Atem und Dialog konnte der Arbeitskreis ökologischer Campus dennoch bereits etwas bewegen: So hat das Landesamt für Vermögen und Bau im letzten Jahr zugesagt, ausgewählte Campus-Flächen dauerhaft seltener zu mähen.


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„Überall ist das allerdings nicht möglich – und auch nicht im Sinn der Universität“, betont Elke Strub von der Abteilung Fläche und Bau an der Uni Hohenheim. „Wir müssen Kompromisse machen. Beispielsweise benötigen wir die Grünflächen im Schloss-Innenhof für Veranstaltungen wie den Dies academicus und den Tag der Offenen Tür. In diesen Bereichen können wir auch in Zukunft nicht auf das Mähen verzichten.“

Die Wiesen nördlich des Schlosses, Richtung Parkplätze, sind hingegen bereits für den Insektenschutz ausgewiesen – auch wenn dadurch ein beliebter Programmpunkt am Tag der offenen Tür, das Kuhfladenbingo, in diesem Jahr nicht stattfinden kann.

Weitere Initiativen befinden sich in Vorbereitung: So soll, hoffentlich im nächsten Frühjahr, an den Grünflächen entlang der Garbenstraße ein Lehrpfad entstehen, der anhand von 3x3 m² großen Modellflächen demonstriert, wie sich Lebensräume unter unterschiedlichen Bedingungen entwickeln, wenn man sie praktisch sich selbst überlässt. Unterstützung gibt es hierbei auch durch das neue Kompetenzzentrum für Biodiversität und integrative Taxonomie (KomBioTa).

Noch in diesem Jahr sollen zudem bestehende Insektenweiden an den Campus-Gebäuden mit Schildern versehen werden, um Besucher:innen die Hintergründe des Projekts zu erklären – und zum Nachahmen zu animieren.

Text: Leonhardmair


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