Ein Kaffee mit… VS & Prorektorin für Lehre

Zurück in den Hörsaal – aber wie?  [23.06.21]

Ein virtueller Kaffee mit Marie-Luise Dralle, Hauke Delfs und Prof. Dr. Korinna Huber. Bild: Uni Hohenheim

Nach drei Online-Semester wollen die meisten Studierenden vor allem eins: Zurück in den Hörsaal. Verlässliche Infos zum Wintersemester gibt es bisher allerdings immer noch nicht. Denn ohne eine zügiges Impfangebot an alle Studierenden und eine Aufhebung der Abstandsregel könnten Unis wohl auch im Herbst nicht im großen Stil zurück zur Präsenz. Die Hohenheimer Studierendenvertretung fordert die Landesregierung in einem offenen Brief deshalb zum Handeln auf. Die Uni-Leitung unterstützt die Forderungen mit Nachdruck. Beim virtuellen Kaffee mit dem Online-Kurier berichten Hauke Delfs und Marie-Luise Dralle von der Verfassten Studierendenschaft sowie Prof. Dr. Korinna Huber, Prorektorin für Lehre, über den aktuellen Stand.


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Sinkende Inzidenzwerte, steigende Impfquote, erste Lockerungen pünktlich zur Hitzewelle: Frau Dralle, Herr Delfs – können Sie in den allgemeinen Optimismus einstimmen?


Delfs: Schön wäre es. Aber leider nein. Denn während aktuell weitere Lockerungen in Kraft treten und z.B. Fußballspiele inzwischen wieder vor Publikum stattfinden können, herrscht für uns Studierende immer noch völlige Unklarheit, wie es im nächsten Semester weitergehen soll. Das zermürbt zunehmend.

Als junge Menschen, haben wir mittlerweile drei Semester Onlinestudium auf uns genommen und uns solidarisch gezeigt. Langsam aber sicher fragen sich viele von uns jedoch, wo umgekehrt die Solidarität der Gesellschaft mit der jungen Generation bleibt. Denn diese wertvolle Zeit unseres Studiums geht leider auf Dauer verloren.

Dralle: Der Optimismus ist getrübt. Vielmehr werden die Fragezeichen immer mehr. Warum setzt die Politik jetzt nicht alle Hebel in Bewegung, damit wir im Herbst nach drei Semestern endlich wieder zur Präsenzlehre zurückkehren können? Das haben wir Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Wissenschaftsministerin Theresia Bauer und Sozialminister Manfred Lucha in einem offenen Brief direkt gefragt.

Denn eine Uni ohne Präsenz-Unterricht – das ist wie Baden-Württemberg ohne Maultaschen und Käsespätzle.

Das Land hatte ja unlängst zu einem Studierenden-Gipfel eingeladen – was hat das denn an konkreten Fortschritten gebracht?

Dralle: Wir sind ehrlich gesagt ernüchtert und ohne jeden Fortschritt aus diesem Treffen herausgegangen. Mein Eindruck hat sich leider noch verstärkt, dass die Politik die Lage der Studierenden nicht ernst nimmt. Es wurde uns z.B. als Erfolg verkauft, dass in der Bibliothek doch jetzt wieder eine Person auf 20 m² zugelassen ist. Als ob das unsere Probleme lösen würde…

Delfs: Was wir wirklich brauchen ist ein Impfangebot für alle Studierende noch in diesem Sommer, damit wir im kommenden Semester in den Hörsaal zurückkehren können. Dazu muss dann aber auch die geltende Abstandsregel aufgehoben werden. Wie sollen Präsenz-Vorlesungen ansonsten funktionieren, wenn nur ein Fünftel der Studierenden in den Hörsaal kommen kann?

Und bitteschön: Das alles nicht erst wieder zwei Wochen vor Semesterstart beschließen! So schnell findet man nämlich keine Wohnung in Stuttgart. Nach anderthalb Jahren Pandemie haben wir kein Verständnis mehr für solche Hauruck-Aktionen.

Vor einem guten Jahr saßen wir in einer ähnlichen Konstellation für ein Interview zusammen. Damals war der Lockdown gerade mal ein paar Monate alt – inzwischen befinden wir uns im dritten Digital-Semester. Was hat das mit Studierenden gemacht?

Dralle: Ich muss dazu sagen, dass ich zu der Spezies Studierender gehöre, die ihr WG-Zimmer behalten hat und dem Studienort treu geblieben ist. Ich habe mein soziales Netzwerk in Hohenheim und habe es auch während des Lockdowns weiter gepflegt – notfalls eben per Online-Stammtisch etc. Wenn man nach einem schlechten Tag mal Dampf ablassen kann und hört, dass andere unter ganz ähnlichen Problemen leiden, dann fühlt man sich zumindest nicht so allein.

Aber Online-Veranstaltungen können den persönlichen Austausch nur schwer ersetzen. Und auch ich komme allmählich an meine Grenze: Die Luft ist jetzt einfach raus. Die Motivation hat den Tiefpunkt erreicht.

Delfs: Noch erheblich größer ist das Problem natürlich für all diejenigen, die während Corona neu an die Uni gekommen sind – und teilweise noch gar keine Vorlesung in einem Hörsaal erlebt haben. Rund zwei Drittel aller Studierende geben an, seit dem Lockdown verstärkt unter psychischen Problemen zu leiden. Das finde ich sehr erschreckend und ich kann nicht nachvollziehen, warum das Land jetzt nicht die Initiative ergreift, um effektiv gegenzusteuern.

Wenn die Politik jetzt nicht die Weichen stellt, dann kommen die neuen Erstsemester so richtig vom Regen in die Traufe: Erst Home-Schooling, dann Online-Studium…

Dass sich da an der ein oder anderen Stelle Wissenslücken auftun, kann man sich ausmalen…

Delfs: Genau. Und wenn man nicht vor Ort ist, kann man ja auch von Hilfsangeboten wie Tutorien, Brückenkurse und Co nicht voll profitieren. Denn die basieren ja eigentlich auf dem persönlichen Kontakt.

Huber: Auch für Studierenden aus höheren Semestern ist das übrigens ein Problem. Bis jetzt haben wir zwar noch relativ wenige Studienabbrecher, aber wir beobachten, dass sehr viele Studierende ihre Prüfungen aufschieben. Wir wollen verhindern, dass sie in eine negative Spirale geraten und den Stoff am Ende nicht mehr aufholen können. Dazu brauchen wir den persönlichen Kontakt von Lehrenden und Studierenden so schnell wie möglich.

Frau Huber, Sie schließen sich den Forderungen der Studierenden also an?

Huber: Ja. Studierende und Uni-Leitungen ziehen in dieser Sache zu 100% an einem Strang. Wir wollen zurück zur Präsenz. Die Studierenden haben ein Recht darauf.

Die Wissenslücken sind dabei ja nur ein Teil des Problems. Wenn uns die Pandemie eines gezeigt hat, dann das: Bildung ist mehr als Stoff pauken. Sozialkompetenz, Teamfähigkeit, Kommunikationskompetenz – das alles ist kein Add-On, sondern gehört zu den wichtigsten Zielen der universitären Ausbildung. In digitalen Formaten lassen sich solche Schlüsselkompetenzen allerdings nur sehr schwer trainieren.

Auch Ministerin Bauer spricht sich ja für eine Rückkehr zu mehr Präsenz im Wintersemester aus…


Huber: Ja, aber gleichzeitig werden die besonderen Unterrichtssituationen der Unis nicht richtig gesehen. Solche Aussagen kann ich deshalb nur als Lippenbekenntnisse werten.

Die Studierenden haben die wichtigsten Knackpunkte ja schon genannt: Wenn nicht in den nächsten Wochen im großen Stil die Erstimpfungen für die Studierenden anlaufen, dann wird es schwierig mit der Präsenzlehre im Herbst. Die Zahl der Testungen von Nicht-Geimpften muss auf ein handhabbares Maß gebracht werden.

Und wenn wir nicht wissen, ob wir unsere Hörsäle voll besetzen können oder weiterhin 80% der Plätze aufgrund der Abstandsregel freilassen müssen, macht das eine Planung sehr schwierig. Präsenz in ausreichendem Umfang kann nur ohne Abstandsregelungen erfolgen.

Wir konnten zwar relativ schnell auf Digital-Lehre umstellen. Der umkehrte Weg ist jedoch deutlich schwieriger. Eine gestufte Lösung würde uns beispielsweise vor erhebliche Herausforderungen stellen. Ein bisschen Präsenz hier und da, bedeutet für uns den doppelten und dreifachen Aufwand – und die Probleme der Studierenden werden dadurch ja leider auch nicht gelöst.

Die Schulen haben ihren Präsenzunterricht inzwischen doch auch wiederaufgenommen. Was ist denn so anders an den Unis?

Huber: Unis und Schulen funktionieren grundlegend verschieden. Leider wird genau das in den aktuellen politischen Debatten jedoch immer wieder ignoriert.

Der wichtigste Unterschied: Wir haben an den Unis keine Klassenverbände. Wir können also nicht mal eben flexibel auf Wechselunterricht umstellen. Und es reicht auch nicht, wenn wir einmal pro Tag kontrollieren, ob die Studierende, getestet, geimpft oder genesen sind. Gemäß den geltenden Bestimmungen müssten wir das für jeden Hörsaal und jede Vorlesung machen: Für tausende Studierenden – mehrfach am Tag. Das kriegen wir mit Bordmitteln einfach nicht hin.

Anders als Schülerinnen und Schüler wohnen die meisten Studieninteressierten auch nicht eben ums Eck. Wir bekommen schon jetzt Anfragen, ob es sich denn lohnt, in Stuttgart eine Wohnung zu suchen. Kurzfristig für wenige vereinzelte Präsenzangebote zu kommen ist für die meisten Studierenden unmöglich. Solange die Politik uns im Unklaren lässt, können wir aber keine sicheren Aussagen dazu machen, wie das Wintersemester denn nun ablaufen wird.

Nicht nur die Studierenden wünschen sich Klarheit, sondern auch die Lehrenden. Schon vor einem Jahr haben sie ja unter höchsten Kraftanstrengungen eine Hybrid-Semester vorbereitet, das dann aber von der Politik in letzter Minute abgesagt wurde…

Huber: Ja, und das obwohl unser Hygienekonzept hervorragend ist. Ich verstehe die Frustration aller an dieser Stelle also voll und ganz.

Wenn wir jetzt auf Basis der derzeitigen Lage für die Uni Hohenheim eine verbindliche Entscheidung treffen müssten, dann könnten wir nicht anders als ein weiteres Digital-Semester zu beschließen. Das wollen wir aber unter allen Umständen vermeiden. Das sind wir unseren Studierenden einfach schuldig.

Derweil bleibt mir nichts anderes übrig als an die Lehrenden zu appellieren, sich so auf das Wintersemester vorzubereiten, als ob wir zur Präsenz zurückkehren würden. Denn eine kurzfristige Umstellung auf Hybrid- bzw. Online-Lehre ist einfacher möglich als umgekehrt.

Gemeinsam setzen sich die Universitäten und ihre Studierenden auf allen Ebenen weiter dafür ein, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Präsenzlehre geschaffen werden. Selbstverständlich wird die Uni-Leitung Lehrende und Studierende stetig auf dem aktuellen Stand halten und in unterschiedlichen Formaten, den Austausch suchen.

Herr Delfs, Frau Dralle, haben auch Sie einen abschließenden Appell?

Delfs: Den Studierenden möchten wir sagen: Steckt euren Kopf nicht in den Sand! Wenn ihr Probleme habt, scheut euch nicht, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen, wie z.B. die psychologische Beratung des Studierendenwerks oder der zentralen Studienberatung. Auch seitens der Verfassten Studierendenschaft haben wir immer ein offenes Ohr für Euch!

Dralle:
An die Uni selbst möchten wir an dieser Stelle eigentlich nur Danke sagen: Die meisten Lehrende sind hoch engagiert, um das Beste aus der Situation herauszuholen. Die Uni-Leitung kämpft an unserer Seite für eine rasche Rückkehr zur Präsenzlehre. Als Studierendenvertreter werden wir immer sofort über alles informiert und unsere Stimme wird auch gehört. Wir wissen von anderen Unis, dass das keineswegs selbstverständlich ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

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