1800 bis 1932

Gründung und Entwicklung der Hochschule Hohenheim

In Folge verheerender Hungersnöte wird 1818 in Hohenheim eine landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt gegründet. Ziel ist die langfristige und nachhaltige Modernisierung der Landwirtschaft.

1815: Vom Urknall der Universität zum Jahr ohne Sommer

Ein Vulkanausbruch Anfang April 1815 leitet die schlimmste Hungersnot des 19. Jahrhunderts in Europa ein und führt dort zum Jahr ohne Sommer.

In der ersten Hälfte des April 1815 bricht der Vulkan Tambora in Indonesien mit einer geschätzten Sprengkraft von 170.000 Hiroshima-Bomben aus. 140 Milliarden Tonnen Asche- und Staubpartikel schießen kilometerweit in die Atmosphäre. Die Auswirkungen sind bis nach Europa zu spüren. Eine Aschewolke liegt wie ein Schleier auf dem Erdball und verdunkelt den Himmel. Das Jahr 1816 geht als „Jahr ohne Sommer“ ins kollektive Gedächtnis ein. Regen und Kälte lassen die Ernte auf den Feldern verfaulen. Eine verheerende Hungersnot ist die Folge. In ihrer Verzweiflung strecken die Menschen das Grundnahrungsmittel Brot mit allem, was noch zu finden ist: Blättern, Wurzeln, Gras oder sogar Sägespänen.

Angeregt von den düsteren Zeiten lassen Autorinnen und Autoren wie Mary Shelley mit „Frankenstein“ das Genre der Schauergeschichten erblühen. Maler wie William Turner oder Carl Spitzweg halten das besondere Licht und die glühenden Sonnenuntergänge fest.

1818: Gründung des Landwirtschaftlichen Instituts

König Wilhelm I. und Katharina Pawlowna gründen die landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt Hohenheim.

Mitten in der Hungerkrise besteigen König Wilhelm I. und seine Frau Katharina Pawlowna als neues Königspaar den württembergischen Thron. Um die unmittelbare Not und den Hunger zu lindern, aber auch um revolutionären Ausbrüchen entgegenzuwirken, reagieren sie mit einer landesweiten Wohlfahrtsinitiative. Außerdem soll die landwirtschaftliche Produktivität dauerhaft gesteigert werden. Dafür benötigt es moderne Institutionen und neues landwirtschaftliches Wissen.

Am 20. November 1818 gründen König Wilhelm I. und Katharina Pawlowna daher die landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt Hohenheim. Aus ihr geht später die Universität Hohenheim hervor.

Erster Direktor wird Johann Nepomuk Hubert Schwerz (1759-1844), der als einer der Hauptvertreter der empirisch-rationellen Landwirtschaftslehre gilt. Gemeinsam mit zwei weiteren Lehrern unterrichtet er zu Beginn 16 Schüler in Landwirtschaft, Mathematik, Physik, Chemie, Mineralogie und Botanik.

Angegliedert werden der neuen Institution eine Gutswirtschaft und eine Waisenanstalt, die spätere Ackerbauschule. Aus der in die Ackerbauschule integrierten Elementarschule gehen im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Grundschule und eine Reallateinschule hervor, welche der Vorgänger des heutigen Paracelsusgymnasiums (seit 1966) war.

1819: Die Ackergerätefabrik als Ideenschmiede des 19. Jahrhunderts

1819 wird in Hohenheim die erste Ackergerätefabrik Deutschlands eingerichtet. Hier entwickeln Wissenschaftler maßstabsgerechte funktionsfähige Modelle ihrer Geräte, die weltweit versandt werden.

Die Hohenheimer Ackergerätefabrik soll die Mechanisierung der württembergischen Landwirtschaft vorantreiben. Hier werden neue Ackergeräte konstruiert, gebaut und vertrieben. Über den Versand maßstabsgerechter funktionsfähiger Modelle wird die Ackergerätefabrik schnell bis weit über die Grenzen Hohenheims hinaus bekannt. Diese Modelle können problemlos überall auf der Welt nachgebaut werden und machen Hohenheim zum international gefragten Lieferanten innovativer Technologien.

1820: Gründung der Forstschule

Zwei Jahre nach der Gründung wird die Hohenheimer Musteranstalt durch eine Forstschule ergänzt. Fünf Jahre nach der Gründung der niederen Forstschule in Hohenheim wird sie 1825 um die akademische Forstausbildung erweitert.

Die 1820 in Hohenheim eingerichtete niedere Forstschule wird 1825 um die akademische Forstausbildung erweitert und bildet vor allem junge Menschen für den staatlichen Forstdienst in Württemberg aus. Die Forstleute in Hohenheim harmonieren zu keinem Zeitpunkt mit den Landwirten. Dass für das Forststudium zwingend das Abitur Zulassungsvoraussetzung war, für das Landwirtschaftsstudium aber nicht, führte schon früh zu Spannungen zwischen Forstleuten und Landwirten. Die Forstleute fühlten sich eher der Wissenschaft an einer Universität zugeneigt, als der praxisorientierten Ausbildung am Institut. 1881 verließen sie daher Hohenheim und zogen an die Eberhard Karls-Universität in Tübingen.

1820: Die Eröffnung der Speisemeisterei

In einem der Kavaliersgebäude des Schlosses wird eine Mensa für die Schüler des Instituts in Hohenheim eingerichtet – die „Speisemeisterei“.

Selbständige Wirte betreiben die Mensa und zugleich einen Gaststättenbetrieb. 1954 wird die Mensa vom Studentenwerk übernommen. 1985 entsteht ein neues Mensagebäude, welches 2019 noch einmal um weitere Räume ergänzt wird. Die frei gewordenen Räume im historischen Speisemeistereiflügel werden restauriert und zum „Speisemeisterei“ genannten Sterne-Restaurant.

1842: Gründung der Gartenbauschule

König Wilhelm I. gründet in Hohenheim eine königliche Gartenbauschule.

Bereits 1780 wurde in Hohenheim durch Herzog Carl Eugen von Württemberg eine Gartenbauschule gegründet, die nach seinem Tode jedoch in Vergessenheit geriet. 1842 schließlich etabliert Wilhelm I. erneut eine königliche Gartenbauschule. Die Staatsschule für Gartenbau und die städtische Landwirtschaftsschule bleiben bis 2015 eng mit der Universität Hohenheim verbunden. 2015 trennen die zuständigen Ministerien Universität und Schulen, wobei die über Jahrzehnte hinweg etablierten Kooperationen z.B. bei der Pflege der Gärten und mit der Floristmeisterschule auch weiterhin fortbestehen.

1847: Die Landwirtschaftliche Akademie

Das Landwirtschaftliche Institut wird durch einen Erlass von König Wilhelm I. von Württemberg zur Landwirtschaftlichen Akademie erhoben.

Die Erhebung zur Akademie hat auch die Unterstellung unter das Kultusministerium (1865) zur Folge.

Der Hohenheimer Lehrkörper besteht nun aus sieben Professoren: zwei für Landwirtschaft, von denen der eine zugleich der Direktor ist, zwei für Forstwirtschaft und je einer für Technologie, Naturwissenschaften, Mathematik und Physik.

Neben den sieben Professoren unterrichten noch neun Hilfslehrer nebenamtlich in den Fächern Tierheilkunde, Obst- und Gemüsebau, Bienenzucht, Buchhaltung, Rechtskunde und landwirtschaftliches Bauwesen. Die Studentenzahl ist mit ca. 100 studierenden Landwirten noch vergleichsweise gering.

1854: Agrikulturchemie

Das Fächerangebot der Musteranstalt wird um die Agrikulturchemie erweitert.

In den 1860er Jahren sieht sich Hohenheim den wütenden Angriffen des renommierten Chemikers Justus von Liebigs ausgesetzt: Die Landwirtschaftlichen Akademien, allen voran Hohenheim, seien zu praxisorientiert, ihnen fehle die solide naturwissenschaftliche Forschung als Basis. Hohenheim reagiert: Die Landwirtschaftlich-chemische Versuchsstation (später Landesanstalt für Landwirtschaftliche Chemie) wird 1865 gegründet und befindet sich schnell an der Spitze der einschlägigen Forschung. Überhaupt wird das Studium immer stärker auf die Naturwissenschaften ausgerichtet.

2016 wird die Landesanstalt für Landwirtschaftliche Chemie aufgeteilt: behördliche Aufgaben werden nach Augustenberg verlagert, die akademischen gehen in der sogenannten Core Facility auf.

1866: Das Bismarck-Attentat

Der ehemalige Hohenheimer, Ferdinand Cohen-Blind schießt auf offener Straße auf den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck.

Am 7. Mai 1866 schießt Ferdinand Cohen-Blind, ehemaliger Student der Akademie Hohenheim, in Berlin auf Otto von Bismarck, der jedoch dank einer extra Schicht Kleidung dem versuchten Attentat beinahe unversehrt entgeht. Cohen-Blind nimmt sich in der Nacht nach dem Attentat im Gefängnis das Leben. In Schwaben wird er als „zweiter Wilhelm Tell“ gefeiert. Der Grund: Der preußische Ministerpräsident ist dabei, einen Krieg gegen Österreich (deutscher Bruderkrieg 1866) zu forcieren, um die preußische Vormachtstellung weiter auszubauen. Mit seinem Attentat wollte Cohen-Blind diesen Krieg verhindern. Vergebens: Im Juni schickt das kleine Königreich Württemberg Soldaten auf österreichischer Seite gegen Preußen in die Schlacht – und erleidet hohe Verluste.

1875: Röntgen in Hohenheim

Der spätere Nobelpreisträger Wilhelm Conrad Röntgen lehrt in Hohenheim.

Von 1875 bis 1876 lehrt Wilhelm Conrad Röntgen für kurze Zeit als außerordentlicher Professor für Mathematik und Physik in Hohenheim, bevor er von dort nach Straßburg abgeworben wird. Ein viertel Jahrhundert später - im Herbst 1901 - erhält er dann für die nach ihm benannten Röntgenstrahlen den allerersten Nobelpreis für Physik.

1875: Volkswirtschaftslehre

Das Fächerangebot der Musteranstalt wird um die Volkswirtschaftslehre erweitert.

Aus dem erweiterten Fächerangebot entwickelte sich allmählich die 1968 gegründete Fakultät Wirtschaft- und Sozialwissenschaften – die dritte Fakultät der Universität Hohenheim.

1888: Haltestelle „Hohenheim“

Von 1888 bis 1967 gibt es eine Direktverbindung von Möhringen bis auf den Campus der Universität.

1967 muss die Haltestelle dem Bau einer neuen Mensa weichen. Die neue Endhaltestelle endet vor dem Bezirksrathaus und bekommt den Namenszusatz „Universität Hohenheim“. Im Mobilitätskonzept der Universität und im Zuge des Masterplans 2030 macht die Universität deutlich, dass es auch zukünftig keine erneute Verlängerung der Straßenbahn auf den Campus geben wird. Der Grund: die Erschütterungen und Strahlungen stören einige empfindliche Geräte der nahegelegenen Institute und könnten so Ergebnisse verfälschen.

Mobilität(skonzept) für Hohenheim

1900: Das Bismarck-Denkmal

Zu Ehren von Otto von Bismarck stiften Hohenheimer Studierende der Universität ein Denkmal.

Mit Bismarcks Tod 1898 beginnt eine Welle der Bismarck-Verehrung in ganz Deutschland. 35 Jahre nach dem Attentat durch Ferdinand Cohen-Blind und nachdem Süddeutschland vergebens gegen eine preußische Vorherrschaft gekämpft hat, sind die Hohenheimer Studierenden von der großdeutschen Idee begeistert. Auf studentische Initiative wird am 16. November 1900 im Hohenheimer Park mit Zustimmung des Senats und im Rahmen eines imposanten Fackelzuges ein Denkmal zu Ehren des ehemaligen Reichskanzlers eingeweiht.

1904: Die Landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim

Die landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt Hohenheim wird zur Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim umbenannt.

Eigentlich ist dies nur eine Namensänderung ohne größere Wandlungen in der Hochschulstruktur. Allerdings werden seit Beginn des 20. Jahrhunderts die einzelnen Lehrstühle allmählich zu Instituten zusammengezogen.

1905: Landessaatzuchtanstalt

Die Landessaatzuchtanstalt wird der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim zugewiesen.

Auf Anregung von Carl Fruwirth wird 1905 in Württemberg eine Landessaatzuchtanstalt gegründet und der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim zugeordnet. Fruwirth war von 1897-1907 Professor für Pflanzenbau in Hohenheim und begründete hier die wissenschaftliche Pflanzenzüchtung. Als Einrichtung für Forschung und Entwicklung im Bereich der Pflanzenzüchtung trug die Arbeit der Landessaatzuchtanstalt zu einer nachhaltigen Verbesserung der Pflanzenproduktion bei – und dies in einer Zeit, in der kaum andere Mittel zur Steigerung der Erträge wie Handelsdünger oder Pflanzenschutzmittel zur Verfügung standen.

Heute arbeitet die Landessaatzuchtanstalt vorrangig zum Ziel der Entwicklung einer ressourcenschonenden, umwelt- und marktgerechten landwirtschaftlichen Pflanzenproduktion.

Zur Landessaatzuchtanstalt

1908: Deutsche Ansiedlerschule

Seit 1908 gibt es Bestrebungen im Bereich des Exotischen Gartens eine Ansiedlerschule zur Ausbildung für die Arbeit in den deutschen Kolonien zu gründen.

Zurück geht das Vorhaben auf den 1908 in Stuttgart gegründeten „Verein zur Vorbildung Deutscher Ansiedler“ (VVDA). Es wird unter anderem von Adolf Foehr unterstützt, der einige Jahre zuvor Schüler an der Akademie Hohenheim gewesen ist. Im Fokus steht die Ausbildung junger Deutscher für den Dienst in den Kolonien.

Koloniale Bestrebungen werden in Hohenheim in der Sache akzeptiert und befürwortet. Die Hochschule ist Mitglied der 1887 gegründeten Kolonialgesellschaft. Die Planungen für die Ansiedlerschule werden jedoch recht bald wieder eingestellt. Insgesamt zeigen sich die Entscheidungsträger in Hohenheim an kolonialen Themen nur mäßig interessiert.

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1918/1919: Promotions- & Habilitationsrecht

Die landwirtschaftliche Hochschule Hohenheim erhält das Promotions- und Habilitationsrecht.

Während der Wirren des ersten Weltkrieges muss auf das 100-jährige Jubiläum verzichtet werden. Nach dem Krieg wird der Hochschule aber das Promotions- und Habilitationsrecht zugesprochen – ein erster Meilenstein auf dem Weg zur Universität.

1922: Rektoratsverfassung

Die neue Rektoratsverfassung tritt am 1. Oktober 1922 in Kraft.

Die neue Rektoratsverfassung tritt am 1. Oktober 1922 in Kraft und ersetzt die "Neuen organischen Bestimmungen" von 1883, die sich die Hochschule nach der Abtrennung der forstwirtschaftlichen Abteilung gegeben hat. An die Stelle des Direktors tritt nun der Rektor, der jährlich aus der Reihe der ordentlichen Professoren gewählt wird. Der Senat ersetzt ab sofort den Lehrerkonvent und ist nun das eigentliche Beschlussorgan der Hochschule. Die Studierendenzahl ist auf 1.000 angewachsen.

1922: Einweihung eines Denkmals für die Kriegstoten des Ersten Weltkriegs

Die beiden Bronzetafeln tragen die Namen der im Weltkrieg ums Leben gekommenen Soldaten aus Hohenheim.

Das Vorhaben, ein Mahnmal für die Soldaten des Ersten Weltkrieges zu errichten, geht bereits auf das Jahr 1916 zurück, wurde aber aufgrund der noch laufenden Kriegshandlungen zunächst verschoben. Die Tafeln dienten nicht nur als Orte individueller Trauer, sondern auch einer zum Teil propagandistischen „Sinnstiftung“ des Weltkrieges.

1923: Die erste Professorin Deutschlands

Am 1. Januar 1923 wird Margarete Baronesse von Wrangell nicht nur zur ersten Professorin in Hohenheim ernannt – sondern auch zur ersten ordentlichen Professorin an einer deutschen Hochschule.

Im Vorfeld hat die studierte Agrikulturchemikerin nicht nur mit den Unruhen ihrer Zeit, sondern auch mit der damals frauenfeindlichen Wissenschafts-Umgebung zu kämpfen. Im Fokus ihrer Forschung stehen Untersuchungen zur Phosphordüngung, und bis zu ihrem Tod 1932 leitet sie das Institut für Pflanzenernährung. 1934 wird ein Gedenkstein mit dem wissenschaftlichen Leitspruch der Forscherin aufgestellt: „Ich lebte mit den Pflanzen. Ich legte das Ohr an den Boden und es schien mir, als seien die Pflanzen froh, etwas über die Geheimnisse des Wachstums erzählen zu können“

Mehr über die Geschichte Hohenheims der Jahre:

1100 - 1799 | 1800 - 1932 | 1933 - 1945 | 1946 - 1999 | seit 2000

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